Aus gegebenem Anlass


Am heutigen Montag beginnt in Bonn die „COP23“, die 23. Klimakonferenz der Vereinten Nationen. Der Gastgeber Fidschi wirbt seit Monaten auf den Flugzeugen von Fiji Airways mit dem Logo. Das Bundesumweltministerium teilt in einer Pressemitteilung mit, dass dies die größte jemals in Deutschland veranstaltete zwischenstaatliche Konferenz sei. Und die deutschen Medien berichten ausführlich über untergehende Inseln – Fidschi, die Marshalls, und eben Kiribati.

Treffend erfasst hat die Situation Urs Wälterlin, dessen Artikel sowohl in der „TAZ“ (3. November 2017) als auch im „Handelsblatt“ (5. November 2017) erschien – offenbar ist dies ein Thema, das ideologische Gegensätze überbrückt. „Kiribati – Inseln der Albträume“ heißt sein Artikel und Wälterlin scheint tatsächlich vor Ort recherchiert zu haben. Anders als viele andere Autoren lässt er den Gedanken zu, dass viele der derzeitigen Probleme aus der Überbevölkerung rühren und nicht unbedingt unmittelbare Folgen des Klimawandels sind und beschreibt akkurat das unglaubliche Müllproblem Tarawas:

Jeden Morgen, bevor er sich an seiner Mauer an die Arbeit macht, spaziert Richard Turpin den Strand entlang. Hier zeigt sich die vielleicht augenscheinlichste Folge des Siedlungsdrucks: Abfall. Berge davon. Turpin macht kaum einen Schritt, ohne auf einen Styroporteller zu treten, eine Plastikgabel, eine Konservendose. Kiribati muss fast alle Produkte importieren, hat aber kein effektives System der Abfallbeseitigung. […] Selbst Autos – meist Gebrauchtwagen aus Japan – sind Einwegprodukte. Einmal defekt, bleiben sie als rostige Wracks am Straßenrand liegen […].“

Beim Parken auf South Tarawa muss man mittlerweile auf die Gezeiten achten, sonst wird aus dem Auto ein Wrack“ schreibt Benjamin von Brackel am 28. Oktober 2017 in der Süddeutschen Zeitung. Die Herablassung dieser Aussage außer Acht gelassen, sind Autos hier vielmehr, wie von Wälterlin beschrieben, Einwegprodukte, Autowracks liegen überall auf der Insel. Illustriert wird der Artikel unter dem Titel „Flucht aus dem Paradies“ mit Fotos von Autowracks in der Lagune, „Falsch geparkt, schon ist das Auto weggespült“ ist die Bildunterschrift dazu. Das mag noch eine Stilfrage sein, einige Aussagen des SZ-Artikels waren allerdings nicht eine Frage der Auslegung oder des Stils, sondern so grundlegend falsch, dass wir der Zeitung einen Leserbrief geschrieben haben:

„Der Klimawandel könnte Kiribati tatsächlich langfristig die Lebensgrundlage entziehen, wenn nämlich die Thunfischschwärme abwandern und das Land deshalb keine Fischereilizenzen mehr verkaufen kann. Zu den beschriebenen Problemen hingegen führt vor allem die Überbevölkerung auf dem Hauptatoll Tarawa. Die Menschen müssen immer dichter am Wasser bauen und sind dem Meer direkt ausgesetzt. Mehr Menschen brauchen auch mehr Trinkwasser, das auf Pazifikatollen schon immer knapp war.
Anders als Sie schreiben, hat Australien seinen Arbeitsmarkt für Kiribati geöffnet. Es bietet weit über 1000 Arbeitsplätze in der Landwirtschaft und Gastronomie, hat aber große Mühen, diese Stellen zu besetzen. Neben teuren Flugverbindungen liegt dies vor allem an fehlenden Englischkenntnissen und Qualifikationen.
Wenn sich die Pazifiknationen und die Industrieländer auf der Klimakonferenz COP23 begegnen, wird hoffentlich auch Bildung ein Thema sein. Denn ohne Bildung ist „migration in dignity“ – die würdevolle Migration - nicht möglich.“

Die Idee, der Überbevölkerung durch Migration zu begegnen, ist nicht neu. Bereits 1788 schreibt William Bligh, der berühmte Kapitän der „Bounty“ aus Tahiti: „Eine Idee drängt sich auf, die, wie abenteuerlich sie auch zunächst erscheinen mag, attraktiv sein könnte: Während wir in diesen Inseln eine so große Verschwendung von menschlichem Leben beobachten, dass viele geboren werden, nur um zu sterben, [sehen wir] gleichzeitig einen großen Kontinent so nah wie Neu Holland [Australien], mit unkultiviertem Land in Verschwendung und geradezu arm an Menschen, da drängt sich die Idee auf, wie umfassend diese beiden Länder von einander profitieren könnten […].“

Nicht in Australien, sondern in Fidschi hat der Staat Kiribati unter seinem damaligen Präsidenten Anote Tong 2014 Land gekauft, um seine Bevölkerung gegebenenfalls umsiedeln zu können. Nur kämen die Menschen hier nicht in ein Niemandsland, sondern in vorhandene Dorfstrukturen. Die Bewohner des Dorfes kamen einst selbst als Migranten, von der britischen Kolonialregierung umgesiedelt aus den Solomonen. Das ARD Studio Tokio hat die Dorfbewohner besucht. Der Bericht lief im Weltspiegel am Sonntagabend und ist noch in der Mediathek abzurufen.

Bedenken sollte man – und dies, ohne die Folgen der Erderwärmung anzuzweifeln – einige Aspekte: Die Gilbertinseln, eine der drei Inselgruppen des Staates Kiribati, sind erst seit 2000 bis 3000 Jahren bewohnt, einige andere Inseln, wie zum Beispiel Christmas Island und Kanton Island, wurden sogar erst zu Kolonialzeiten besiedelt. Ein Atoll ist generell kein besonders lebensfreundlicher Ort, da es kaum Süßwasservorkommen gibt und der Boden, aus Sand und Stein bestehend, kaum Anbau von Obst und Gemüse zulässt. Nur Kokospalmen, Pandanus-Bäume, Brotfrucht und einige stärkehaltige Wurzeln wie Babai wachsen hier. Auch ist bis heute nicht abschließend erforscht, wie ein Atoll entsteht – und wie es möglicherweise auch wieder versinkt. Korallen sind lebendig, und wie alle lebendigen Dinge haben sie ein Eigenleben.

Dessen waren sich die I-Kiribati immer bewusst. Im einzigen von I-Kiribati selbst verfassten Bericht über ihr Land, „Kiribati – Aspects of History“, berichten sie von zwei schlimmen Dürren in der jüngeren Vergangenheit: Die eine in den 1870er Jahren, die zweite in den 1890er Jahren – weit vor dem Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur. Auch das Phänomen des Bevölkerungsdrucks war ihnen vertraut: „Das Problem der limitierten Ressourcen war unseren Vorfahren bekannt, die ihre eigenen Methoden hatten, Überbevölkerung zu vermeiden; Abtreibung, Kindstötung, Krieg und Zwangsmigration waren üblich“ schreiben sie. Das sind Maßnahmen, die mit christlichen Moralvorstellungen unvereinbar sind und so war es die Ankunft der weißen Missionare, die diesen Praktiken ein Ende setzte. Die Probleme der Überbevölkerung und knappen Ressourcen waren damit nicht behoben.

Zu Kolonialzeiten behalf man sich mit strikten Siedlungsregeln – und mit Umsiedlungen. Von 1938 bis 1940 wurden Bewohner der Gilbert und Ellice Islands auf die bis dahin kaum bewohnten Phoenix Islands umgesiedelt. Nicht bedacht hatte man dabei, dass das neue Land kaum besser geeignet war, seine Bewohner zu versorgen. Man hätte, sagte einer der Delegierten der Umsiedlungskonferenz, die Sorge der Siedler, das Land ihrer Ahnen aufzugeben „mit gutem Brunnenwasser“ ertränken können. Jedoch: „Wasser war das Hauptproblem: Es war zu salzig.“

Weil der Pazifik schon immer eine lebensunfreundliche Wasserwüste war, ist es so schwer, jetzt festzustellen, wo das Leben tatsächlich noch härter geworden ist. Trotzdem hat die industrialisierte Welt dem Pazifik gegenüber eine Bringschuld. Denn es waren die massiven Eingriffe der I-Matangs, der weißen Männer und Frauen, die eine Lebensweise zerstört haben, die für die I-Kiribati lange funktioniert hatte. Auch dieser Gedanke ist übrigens nicht neu. Schon vor über 200 Jahren hatte William Bligh in Tahiti Bedenken:
„Wenig haben unsere Freunde von ihrem Umgang mit den Europäern profitiert. Ich würde alles darum geben, nicht auf der Liste der Schiffe gestanden zu haben, die seit April 1789 hier angekommen sind.“



Die Zitate sind entnommen:
Baraniko, Mikaere et. al. Kiribati. Aspects of History. Tarawa 1984.
Mundle, Rob. Bligh. Master Mariner. Sydney 2016.

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