Wenn der Ernstfall eintritt
Am Samstagabend waren wir auf einer Party am anderen Ende
der Insel eingeladen. Wie für alle sozialen Zusammenkünfte galt auch hier, dass
man anfing, solange es noch hell war (i. e. vor 18.30 Uhr), damit man die
Lokalität überhaupt finden kann. Somit war die Party um 22 Uhr schon in einem
fortgeschrittenen Stadium und auf der hinteren Veranda steppte der Bär (wenngleich
dieser angesichts der Größe der Versammlung und der großen Anzahl von
Australiern eher ein Koala war). Eine Freundin, der Captain und ich saßen auf
der vorderen Veranda, wo man sein eigenes Wort verstehen und über die Straße
auf den Ozean schauen konnte. Ein Zischen unterbrach unsere Unterhaltung und
als ich mich umdrehte, konnte ich sehen, woher es kam: Eine rote Signalrakete
zog einen Bogen über das Wasser. „That’s a distress signal“ sagte der Captain
und ging zum Zaun.
(So schnell war ich nicht - dieses Bild stammt aus den Weiten des Internets - aber so sah es aus.) |
Es war zwar eine klare Nacht, der letzte Vollmond war
allerdings schon eine Woche her und es war zu dunkel, um etwas zu sehen.
Während wir uns auf der Veranda noch fragten, was jetzt eine angemessene
Reaktion wäre, wählte der Captain die Nummer der Polizei. „The number you’ve
called is not available“ ist nicht exakt die Reaktion, die man erwartet, wenn
man an einem Samstagabend die Polizei anruft, aber in Kiribati ist sie auch
nicht völlig überraschend. Wie immer in Tarawa, wenn die offiziellen Wege nicht
funktionieren, verlässt man sich auf sein persönliches Netzwerk. Der Direktor
der Seefahrtsbehörde ging trotz fortgeschrittener Stunde ans Telefon und rief
sogar eine Weile später zurück, um uns über die Fortschritte zu informieren. Er hatte einen Mitarbeiter finden können, der die
Polizei aus dem Bett geholt hatte und man war inzwischen dabei, im Hafen von Betio ein
Boot ins Wasser zu lassen und einen Suchtrupp auszusenden.
Erst am Montag erfuhren wir vom Eigner, was
tatsächlich passiert war. Das Boot, von drei Fischern für die Nacht gemietet,
erlitt gegen 22 Uhr einen Motorschaden. Als die Fischer merkten, dass sie den Außenborder
nicht mehr starten konnten, brachen sie eine Ruderbank heraus um sie als Paddel
zu benutzen. Der Wind und die Strömung waren aber zu stark, um das Ufer zu
erreichen, weshalb sie um 22.05 Uhr die erste Signalrakete abfeuerten – das
„distress signal“, das wir von der Terrasse aus sehen konnten. Während der
Captain versuchte, jemanden zu erreichen, trieb das Boot nach Westen ab. Die
Fischer hofften, dass sie auf die Sandbank vor Betio getrieben würden und dort
den Anker werfen könnten, merkten aber, dass sie zu weit nach Süden versetzt
wurden. Auf der Höhe von Betio konnte die Crew schließlich die roten Backbordlichter
eines Schiffes entdecken, dass aus der Lagune hinaus auf die offene See fuhr. Die Fischer zündeten Handfackeln und feuerten eine zweite Signalrakete ab. Auch dieses
Signal wurde wiederum von Menschen an Land gesehen, die die Hafenbehörde erreichten. Diese funkte das Schiff an der
Lagunenausfahrt an und die Coral Sea 1 konnte das Fischerboot in den Hafen von
Betio schleppen – um 2 Uhr am Sonntagmorgen waren alle sicher an Land.
Gerettet hat die Fischer ein vorbildlich ausgestattetes Boot
– sonst wären sie aufgrund der starken Strömung vermutlich zu einem der Fälle
geworden, die hier immer wieder vorkommen. Denn leider sind die Fischer hier
oft nicht ausreichend ausgestattet und fahren nicht nur ohne Funkgerät und GPS,
sondern auch ohne eine Seenotausrüstung und ohne ausreichend Wasser und
Proviant los. Im besten Fall haben sie, wenn sie als überfällig gemeldet werden,
Schutz auf einer kleineren Insel gesucht und kommen aus eigener Kraft zurück.
Gelingt das, zum Beispiel wegen eines Maschinenschadens, nicht, dann werden sie von der Strömung schnell auf die offene See gezogen.
Manchmal ergeht es ihnen dann so wie den Fischern, die vor ein paar Wochen nach drei Tagen ohne Wasser und Schutz auf dem offenen Meer von einem neuseeländischen Marineaufklärer entdeckt wurden.
Manchmal bleiben sie auf See.
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