Te Mauri, Te Raoi ao Te Tabomoa


„Welche Krankheit kann man bekommen, wenn man in der Lagune schwimmt?“ war eine Quizfrage bei einer der letzten „Trivia Night“-Runden. Die gesuchte Antwort war Hepatitis A, aber vermutlich waren alle unsere Antworten auf die eine oder andere Weise richtig, denn in der Lagune kann man fast alles bekommen. Man muss aber gar nicht in der als öffentliche Latrine genutzten Lagune baden, um sich eine Runde Gastroenteritis abzuholen. Dafür reicht ein öffentliches Buffet. Nicht unbedingt, weil der Fisch aus der Lagune geangelt wurde, er stammt üblicherweise aus dem Pazifik, ein ganzes Stück von der Lagune entfernt. Sondern wegen mangelnder Hygiene seitens einiger Gäste.
Vor einigen Wochen waren wir nach einer Trauerfeier im Krankenhaus gerade mit unserer eigenen Portion vom Honoratiorentisch fertig, als sich einer der Krankenpfleger, sicher wohlverdient, eine Runde am Buffet bediente. Den Mundschutz noch um den Hals baumelnd, bediente er sich am Reis – mit der bloßen Hand. Wo die vorher gewesen war, mochte ich mir nicht vorstellen. Es ist ihm nicht mal ein Vorwurf zu machen, Vorlegebesteck gibt es hier meist nicht, man ist gezwungen, sich mit dem für jeden ausgegebenen Plastiklöffel zu bedienen. Nun ist Gastroenteritis niemals schön, schon gar nicht, wenn man im Bad im Halbdunkeln auf Kakerlaken tritt und nicht so genau weiß, was eigentlich passiert, wenn man nicht so schnell gesund wird wie gehofft. Trotzdem ist für uns I-Matangs immer der Trost eines „Medivacs“ im Hintergrund, sollten die Dinge richtig schlecht werden.
Diesen Trost haben die I-Kiribati nicht. Die hygienischen Bedingungen, besonders hier in Betio, sind grauenvoll. Die Definition eines Slums ist die fehlende Planung, und die macht sich in der sanitären Versorgung besonders bemerkbar. Abwasserentsorgung ist die Ausnahme, nicht der Standard, und da die wenigsten Bewohner hier die Möglichkeit haben, Regenwasser in ausreichenden Mengen zu sammeln, wird der Brunnen benutzt. Der, wohlgemerkt, nicht besonders tief gebohrt ist in einer Gegend, in der eine der blutigsten Schlachten des Zweiten Weltkriegs stattfand und die Menschen auch sonst dazu neigen, ihre Verstorbenen im Garten zu begraben.  
Zusammen mit sehr schlechten Ernährungsbedingungen führt das zu einer Kindersterblichkeitsrate, die Westeuropa zuletzt im 19. Jahrhundert gesehen hat und macht den Tod hier sehr allgegenwärtig. Diejenigen, die ihre ersten 12 Lebensmonate überleben, sind noch lange nicht „aus dem Schneider“. Eine WHO-Studie hat vor kurzem ermittelt, dass in Kiribati über 29%, also knapp ein Drittel , aller Kinder im Alter von drei Jahren an „stunting“ leidet. „Stunting“ und „wasting“ sind Begriffe, mit denen ich mich zunächst vertraut machen musste. Erleidet ein Kind dauerhaft Nahrungsknappheit, so führt dies zu dem Phänomen von „wasting“, es ist, einfach gesagt, sowohl zu klein als auch zu dünn und in seiner Entwicklung komplett verzögert. Erleidet ein Kind hingegen die Verknappung von bestimmten Nährstoffen, so kann dies zum Phänomen des „stunted growth“ führen. Diese Kinder sind normal gewichtig, aber zu klein, und die Mangelernährung führt zu einer geistigen Entwicklungsverzögerung, die, so die Mangelernährung nicht bis zu einem Alter von vier oder fünf behoben wird, nicht mehr aufzuholen ist und eine Intelligenzverminderung bedeutet.
Es kann mich rasend wütend machen, wenn ich sehe, wie in diesem Land viele Programme für viele Dinge aufgefahren werden, aber die wichtigsten Dinge, nämlich ausgewogene Ernährung für die kleinsten und ausreichende Bildung für die kleinen und nicht mehr ganz so kleinen Bewohner dieses Landes vernachlässigt werden. Vielleicht sind diese Projekte zu groß, zu überwältigend. Aber wenn stattdessen von den Gebern Flugzeuge und Schiffe für die staatseigenen Unternehmen eingefordert werden und, weil ein Wahlprogramm in diesem Teil der Welt nicht nur ein Versprechen ist, auf den Outer Islands sämtliche Straßen asphaltiert werden, dann lässt mich das ratlos. Von welchem Bildungskapital möchte man hier Offiziere ausbilden, wenn die Schulabgänger kaum Mathematik und Englisch können? Wer soll in 20 Jahren all die Flugzeuge fliegen, wenn ein Drittel der Bevölkerung entwicklungsverzögert ist? Es werden nicht nur keine Ansätze gemacht, das Ernährungsproblem zu, sondern im Gegenteil: Seit vor Jahren mal in einer Ladung australischer Kartoffeln einige verschimmelte Exemplare gefunden wurden, gilt ein strenges Importverbot auf Kartoffeln. Stattdessen gibt es nicht angereicherten Reis, jeden Tag, in großen Mengen.
Te Mauri, Te Raoi ao Te Tabomoa“ ist das Motto der Republik Kiribati, Gesundheit, Frieden und Prosperität. Den Frieden haben sie, nach außen hin jedenfalls. Aber sie müssen dringend erkennen, dass sie die Prosperität nur mit der Gesundheit bekommen. Und anfangen, sich die Hände zu waschen.

Manchmal hilft dann nur noch ein Katzenfoto:


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